Glossar

 

Phonologische Bewusstheit

Unter phonologischer Bewusstheit versteht man die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf die formalen Eigenschaften der gesprochenen Sprache zu lenken, z.B. auf den Klang der Wörter beim Reimen, auf Wörter als Teile von Sätzen, auf Silben als Teile von Wörtern und letztendlich vor allem auf die einzelnen Laute der gesprochenen Wörter.


Die empirische Forschung zur phonologischen Bewusstheit hat eine Vielzahl von Befunden hervorgebracht, die sie je nach Begriffsbestimmung entweder als Vorläuferfertigkeit und Voraussetzung des Schriftspracherwerbs, als Konsequenz der Auseinandersetzung mit der Schriftsprache oder als interaktive Komponente, also durch den Schriftspracherwerb in Gang gesetzt und diesen fördernd betrachten (vgl. Marx , 1997). Diese Unstimmigkeiten lassen sich durch die Unterscheidung der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne von der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne (Skowronek & Marx, 1989) weitgehend auflösen.

phonologische Bewusstheit im engeren Sinne
Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne bezieht sich auf den bewussten Umgang mit den kleinsten Einheiten der gesprochenen Sprache, den Phonemen (Lauten). Sie entwickelt sich üblicherweise erst unter Anleitung im Zusammenhang mit dem Schriftspracherwerb.

phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne
Unter der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne versteht man die Wahrnehmung der gröberen sprachlichen Einheiten wie Wörter im Satz und Silben in Wörtern, des Klangs der Wörter beim Reimen usw. Sie entwickelt sich in der Regel spontan, d.h. ohne äußere Anleitung schon im Vorschulalter.

phonologische Informationsverarbeitung
Die unter dem Sammelbegriff phonologische Informationsverarbeitung zusammengefassten Fertigkeiten sind für die Vorhersage des späteren Erfolgs beim Schriftspracherwerb von besonderer Bedeutung. Die damit gemeinte Nutzung von Informationen über die Lautstruktur der gesprochenen und geschriebenen Sprache umfasst:
(1) Die Übertragung vorgegebener schriftlicher Symbole (Wörter, Bilder) in die entsprechende lautliche Struktur, um dann aus dem Langzeitgedächtnis ihre Bedeutung abrufen zu können (phonologisches Rekodieren beim Zugriff auf das semantische Lexikon)
(2) Die für Leseanfänger besonders wichtige Repräsentation schriftlicher Symbole im Kurzzeitgedächtnis (phonetisches Rekodieren im Arbeitsgedächtnis)
(3) Das Erkennen der Lautstruktur der Sprache (à phonologische Bewusstheit). Die phonologische Bewusstheit ist die für den Erolg beim Lesen- und Schreibenlernen bedeutsamste Fertigkeit. Ihr Einfluss konnte in einer Reihe empirischer Studien in verschiedenen Ländern und bei verschiedenen Sprachen nachgewiesen werden (siehe Küspert 1998)

Lese-Rechtschreib-Schwäche / Legasthenie (LRS)

Unter einer Lese-Rechtschreib-Schwäche versteht man üblicherweise eine Teilleistungsschwäche, bei der der Intelligenzquotient eines Kindes mindestens 85 beträgt und seine Leistung in einem standardisierten Rechtschreibtest von höchstens 10% aller Kinder des betreffenden Altersjahrgangs unterboten wird. Genauer spricht man in diesem Fall von einer umschriebenen Lese-Rechtschreib-Schwäche und unterscheidet diese von einer allgemeinen Lese-Rechtschreib-Schwäche, bei der neben den Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen auch Probleme in anderen Schulfächern bestehen und ein insgesamt niedriges Intelligenzniveau vorliegt. Dabei sind natürlich andere Ursachen wie eine Seh- oder Hörschwäche, neurologische Ursachen oder eine unzureichende Beschulung auszuschließen.

In der medizinischen und pädagogischen Praxis wird neben dem Begriff LRS auch der Begriff Legasthenie verwendet, um Kinder mit mindestens durchschnittlicher Intelligenz und Schwächen im Lesen- und Schreibenlernen von denen abzugrenzen, bei denen eine niedrige Intelligenz das Auftreten von solchen Problemen erwarten läßt. Hinsichtlich der Therapierbarkeit von Legasthenikern wird zum einen von einer gewissen Therapieresistenz ausgegangen, da ihre Probleme genetisch bedingt sein sollen. (Die Schlussfolgerung, dass Störungen mit genetischer Grundlage weniger Aussicht auf Behandlungserfolg haben ist dabei allerdings generell fraglich!) Zum anderen werden Legasthenikern aber auch aufgrund ihres höheren kognitiven Potentials im Vergleich zu allgemein lese- rechtschreibschwachen Kindern bessere Behandlungschancen zugeschrieben. Die ohnehin seltenen Untersuchungen zu Interventionsmaßnahmen bei lese- rechtschreibschwachen Kindern, die die Intelligenz in ihren Auswertungen berücksichtigten, fanden aber kaum Hinweise dafür, dass Legastheniker und allgemein lese- rechtschreibschwache Kinder in unterschiedlichem Ausmaß von Fördermaßnahmen profitieren. Dies konnte auch eine neuere Untersuchung von Weber, Marx und Schneider (2000) bestätigen. Als zentraler Befund hat sich gezeigt, dass individuelle Unterschiede im Intelligenzbereich für einen Fördereffekt bei lese-rechtschreibschwachen Viertklässlern bedeutungslos war. Zudem konnte in einer Untersuchung zur Ätiologie der Lese- Rechtschreibprobleme gezeigt werden, dass weder in der phonologischen noch in der visuellen Informationsverarbeitung Unterschiede zwischen Legasthenikern und allgemein Lese-Rechtschreibschwachen Kindern vorliegen (Marx, Weber und Schneider, 2000).

 

Phonemanalyse und Phonemsynthese

Unter Phonemanalyse versteht man das Zerlegen eines Wortes in seine einzelnen Laute; die Phonemsynthese ist das Zusammenziehen von Einzellauten zu einem ganzen Wort. Die Phonemsynthese fällt den Kindern in der Regel leichter als die Phonemanalyse. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Phonemsynthese und –analyse die kritischen Voraussetzungen für das Lesen- und Schreibenlernen darstellen.

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